Rückblick auf Kammerchorkonzert

Passionskonzert mit dem Kammerchor der Schlosskirche
Eine bewegende musikalische Reise durch verschiedene Epochen und Stile, in der sich die Tiefe und Emotionalität der Passionszeit widerspiegelte, erlebte das zahlreich erschienene Publikum am Sonntagnachmittag in der Schlosskirche. Was der exzellent musizierende Kammerchor unter der inspirierenden Leitung von Regionalkantor Sebastian Ruf in seinem Passionskonzert bot, brachte eine Zuhörerin am Ende des Konzerts auf den Punkt: „Gänsehaut“! Aus der Vielfalt des dramaturgisch gut durchdachten Programms, in welchem Sebastian Ruf Werke alter Meister zeitgenössischen Kompositionen gegenüberstellte, sollen hier nur einige der zahlreichen musikalischen Höhepunkte näher beleuchtet werden.
Dynamisch fein austariert, ergreifend homogen im Klang und absolut textverständlich, gelang es dem Chor gleich zu Beginn, Passion und Hoffnung zu verknüpfen. In der fünfstimmigen Motette von Heinrich Schütz „Die mit Tränen säen“, einer Vertonung des Psalms 126, 5-6, wurde der Kontrast von Leiden und Freude spürbar. Schütz komponierte das dreiteilige Werk am Ende des Dreißigjährigen Krieges , 1648. Krieg und Seuchen hatten die Bevölkerung beträchtlich dezimiert. Seine Musik sollte Zuspruch sein für Menschen, die durch schwere Zeiten gehen.
Ganz anders, aber nicht weniger berührend, vertonte Felix Mendelssohn-Batholdy 200 Jahre später den Psalm 22 in seiner Motette „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ aus den „3 Psalmen op.78“. Mit Ausnahme einiger weniger Passagen, wie etwa den eindringlich klagenden Tenor-Soli zu Beginn der Motette „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ - hervorragend intoniert von sechs Tenören des Ensembles - verzichtet der Komponist auf eine vordergründige Dramatisierung des Textes zugunsten einer satztechnisch kunstvollen wie dramaturgich abwechslungsreichen Ausgestaltung der doppelchörigen Anlage, die von den jeweiligen Stimmgruppen des Chores souverän und mit großer Inbrunst vorgetragen wurde. Hier zeigte sich wieder einmal, warum Mendelssohns Werke bei Chören so beliebt sind – kaum einer verstand es so wie er, ein chorisches „Klangbett“ zu bereiten.
Einer Klangwelt ganz anderer Art widmete sich der Kammerchor mit der Interpretation dreier Motetten von Francis Poulenc: „Timor et Tremor“, „Tenebrae factae sunt“ und „Vinea mea electa“ aus den „Quatre Motets pour un temps de Pénitence“. Dieser Zyklus entstand zwischen Juli 1938 und Januar 1939, zwei Jahre nach dem tödlichen Autounfall eines engen Freundes, der Poulencs Leben grundlegend veränderte. Er, der bis dahin überzeugter Agnostiker war, entdeckte sein Bedürfnis nach Spiritualität. Die „Quatre Motets“ gehören zu Poulencs ersten Werken nach dem Verlust seines Freundes. Er bringt ein hochkonzentriertes Werk zur Passion Christi hervor, das durch „schwebende und kreisende Klänge die Verzeiflung hörbar macht“. Wenn ein Werk die außerordentliche Klangqualität des Kammerchors bewies, dann diese drei Motetten, deren hohem musikalischen Anspruch alle Sängerinnen und Sänger gleichermaßen gerecht wurden.
Einen weiteren musikalischen Höhepunkt erlebte das gebannt lauschende Publikum mit der Aufführung des Werks „Immortal Bach“ von dem norwegischen Komponisten Knut Nystedt, das 1988 seine Uraufführung erlebte. Die a-cappella-Komposition für vierstimmig gemischten Chor ist in fünf gleiche Stimmgruppen aufgeteilt und entwickelt sich aus den ersten beiden Zeilen des Sterbeliedes „Komm, süßer Tod“ von J.S.Bach. Während sich vier der fünf Stimmgruppen im Kircheraum verteilten – eine Gruppe sang vor dem Hochaltar – wurde der vierstimmige Choral nur leise gesummt. Dann erst fächerten sich die Chorstimmen des vierstimmigen Choralsatzes nach einem genau vorgegebenen Schema zu Klang-Clustern auf, die Sebastian Ruf von der Mitte des Altarraums hochpräzise dirigierte. Um den klanglichen Effekt zu erreichen, der vielen Zuhörern einen „Gänsehaut-Moment“ bescherte, bedurfte es von allen Beteiligten höchster Konzentration. Am Ende gelang das, was über dieses Werk geschrieben wurde, eine „Theologie, die in Klang ihren Ausdruck findet, indem sie den Begriff zeitlos wörtlich nimmt und damit einen flüchtigen Eindruck von Ewigkeit vermittelt.
Der Thematik und Intention dieses besonderen Konzerts entsprach auch die Auswahl der vier Orgelwerke, die Ludwig Schmitt aus Regensburg zu Gehör brachte, indem er gekonnt die Stimmung der vorangegangenen Motetten aufgriff. So erklang nach den ersten beiden Chorwerken eine Orgelbearbeitung des bekannten „Adagio for Strings“ von Samuel Barber“ in einer Registrierung, die den orchestralen Streicherklang keine Sekunde vermissen ließ. Auch die Choralbearbeitung aus dem Orgelbüchlein von J.S. Bach „O Mensch, bewein dein Sünde groß“, eines der schönsten Choralvorspiele zur Passionszeit, spielte Schmitt in so ruhiger, ergreifender Weise, dass man getrost von einer kongenialen Ergänzung des wunderbaren Kammerchorklangs durch die Orgelmusik sprechen kann.
Als der letzte Ton der innigen Poulenc-Motette „Vinea mea electa“ verklungen war, konnte man eine Stecknadel fallen hören, bevor begeisterter Applaus einsetzte - wohlverdient für ein wahrhaft besonderes Konzert!
Rosemarie Ertl